Zur Lage unserer Partei – Gedanken von Frank-Axel Dietrich

Veröffentlicht von Anne Rabe 20. Juni 2019

Am Freitag, den 14.6. 19 hat die Kreisdelegiertenversammlung der SPD Charlottenburg Wilmersdorf deren Kreisvorstand komplettiert. Heike Hoffmann und Kian Niroomand wurden mit 98 bzw. 85 von 118 Stimmen als neue stellvertretende Kreisvorsitzende gewählt. Robert Drewnicki als neuer Kreiskassierer erhielt 89 von 118 Stimmen. Dem Vorstand gehörten Christian Gaebler (Vorsitzender), Franziska Becker (stellv. Vorsitzende) und Felicitas Tesch (Schriftführerin) bereits an. Der vom Tagesspiegel ausgerufene Aufstand gegen „den Kreischef“ Christian Gaebler blieb aus, war aber auch vom Tagesspiegel bereits Tags zuvor für „verpufft“ erklärt worden.
In der Antragsberatung fanden Anträge der Abteilung Wilmersdorf Nord zur Prüfung eines früheren Stein- und Braunkohleausstiegs, zur Beendigung der steuerlichen Privilegierung von Flugbenzin und zur Verabschiedung der Grundsteuerreform als wesentlicher Beitrag zur Sicherung der kommunalen Finanzausstattung breite Mehrheiten. Dies galt auch für Anträge zum besseren Mieterschutz und zur Steigerung der Ausgaben für die Infrastruktur der Bahn anderer Antragsteller.
Bereits zuvor hatten die Delegierten die aktuelle Lage der SPD nach dem Europawahlergebnis und dem Rücktritt von Andrea Nahles debattiert, Wir dokumentieren insoweit einen Beitrag aus den Reihe der Delegierten der Abteilung Wilmersdorf Nord, der mit Beifall aufgenommen wurde (Fundstellen wurden nachträglich ergänzt).
Geringere Steuern für Reiche, Finanzglobalisierung und Deregulierung von Arbeits- und Produktmärkten mit Privatisierungen und einem schlanken Staat führen zu mehr Wohlstand für Alle. Dieser seinerzeit unter Schröder auch von der SPD unterstützte – allerdings auch von den Grünen mitgetragene – Feldversuch des sogenannten Neoliberalismus ist gnadenlos gescheitert.
Das staunende Publikum ist eingeladen die Ergebnisse zu besichtigen:
Gefährdung unserer natürlichen Lebensgrundlagen, ein gigantischer Niedriglohnbereich im reichen Deutschland, kaputte Infrastruktur, ungedeckte Finanzbedarfe zur Wiederherstellung, Fortbestand herkunftsabhängiger Bildung, eine sich weiter öffnende Schere zwischen arm und reich,
wachsendes und berechtigtes Misstrauen in soziale Sicherungssysteme im Bereich Rente, Gesundheit und Pflege, Gefährdung angemessener Wohnraumversorgung in den wachsenden Städten nach Zerstörung der Grundlagen des sozialen und kommunalen Wohnungssektors.
Ein einzigartiger Siegeszug des Egoismus in alle gesellschaftlichen und persönlichen Bereiche; das Sein bestimmt das Bewusstsein.
Inzwischen mehren sich auch in der SPD die Stimmen derer, die den Irrtum einsehen. Zu unserer DNA als SPD gehört die Vision einer solidarischen Gesellschaft. Wir zeigen aber nicht glaubwürdig, dass gesellschaftliche Solidarität eine reale Möglichkeit ist, sondern verlieren uns in Einzelvorhaben. Wir lassen keine glaubwürdige Gegenstrategie erkennen.
Zum Beispiel:
Wir bieten eine Rente kurz über dem Existenzminimum für langjährig Versicherte mit geringem Verdienst als Identifikation an und wundern uns, daß jüngere Menschen ohne die Chance auf einen entsprechenden Lebenslauf sich abwenden. Wir thematisieren nicht die Frage einer generellen Mindestrente durch angemessenen Einsatz des gesellschaftlichen Reichtums und Umverteilung.
Die Schließung der Gerechtigkeitslücke in Vergütung und Vermögen bestimmt allenfalls den Inhalt von Sonntagsreden, während wir uns in der Praxis im Licht von Mindestlöhnen sonnen, die durch Niedriglohnsektoren in der Folge von Hartz 4 erst nötig geworden sind.
Und da wo wir – wie z.B. in Berlin bei Schul- und Personalausbau – wirklich umschalten wollen, stoßen wir an Machbarkeitsgrenzen, weil die Folgen jahrelanger Sparpolitik und Personalabbaus eben nicht von Heute auf Morgen zu beseitigen sind.
Das alles ist nicht schön. Aber es hilft uns auch nicht weiter, nicht zu sagen, was ist.
Es gibt aber unsere gesellschaftlichen Mehrheiten.
Für die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen,
für eine auskömmliche öffentliche Daseinsvorsorge in Sachen Wohnen, Rente, Gesundheit und Pflege
und auch für eine gerechte Einkommens – und Vermögensverteilung, die vorsorgendes und aktives staatliches Handeln in diesem Sinne sichern kann (siehe dazu auch Kiziltepe, Schulz u.a,
https://cansel-kiziltepe.de/fuer-eine-neue-wirtschafts-und-… )
Wenn aber freier Markt und schlanker Staat nicht in der Lage sind, den Positionen der Mehrheit Rechnung zu tragen: Lasst uns den Vorschlag von Thomas Fricke vom Spiegel prüfen, der uns den neuen Aufbruch unter dem Motto: „Mehr Demokratie wagen“ vorschlägt. Wir brauchen eine Klammer, eine Geschichte, die unsere sozialdemokratische Agenda schärft.
Der Markt ist auszuschalten, wo er versagt hat, wir brauchen einen handlungsfähigen finanziell ausgestatteten Staat zur Durchsetzung der von der Mehrheit gewünschten umfassenden staatlichen Daseinsvorsorge und die finanziellen Voraussetzungen dafür. Mehr Demokratie wagen!
Oder um es mit dem Papier von Kühnert, Stegner und Miersch nach der Europawahl (
https://www.spiegel.de/media/media-44512.pdf
) zu sagen:
„Der Kapitalismus ist zu tief in die sensibelsten Bereiche unseres Zusammenlebens vorgedrungen und muss zurückgedrängt werden. Uns geht es um Menschen, nicht um Märkte. Bezahlbare Mieten, auskömmliche Renten, ein Gesundheits- und Pflegesystem für alle, der Schutz des Weltklimas, ein Sozialstaat auf der Höhe der Zeit – all das kann nur durch einen handlungsfähigen Staat gegen Marktversagen durchgesetzt werden. Wir müssten als Gemeinwohlpartei gegen diesen organisierten Egoismus stehen und müssten das glasklar vermitteln!“
Dieser inhaltliche Weg ist nicht einfach. Vielleicht erfährt er Widerstand. Er bedeutet im Bund auch das Ende der Koalition. Aber er kann uns auch wieder aus dem Wahl- und Umfragetief führen.
Aber wir müssen losgehen. Viel Zeit haben wir nicht mehr.
Und leider: Keine Koalitionsaussage allein, kein Personalvorschlag, schon gar kein inhaltsleerer Personalaustausch, keine Doppelspitze und kein Wahlverfahrensvorschlag kann die inhaltliche Neubestimmung ersetzen.