Inge Deutschkron im Alter von 99 Jahren gestorben.
Sie war unsere Nachbarin, sie war unsere Genossin.
Als unermüdliche Mahnerin gegen das Vergessen hat sie immer wieder uns und den nachfolgenden Generationen selbst-erlebte Erfahrungen vermittelt und sich nicht gescheut, Konsequenzen für heutiges Verhalten aufzuzeigen.
Zur Übergabe der Informationstafeln an der Gedenkstraße Duisburger Straße im November 2011 trug sie aus ihrem Buch „Ich trug den gelben Stern“ vor:
„… Nichts konnte darüber hinwegtäuschen, dass die Lage für Juden in Berlin immer kritischer wurde….
Man holte Juden ab, Berlin sollte judenrein werden,… und mit einer gewissen Regelmäßigkeit ging jeden Monat ein Transport mit 1000 oder 1500 Menschen aus Berlin gen Osten ab …
Zurück blieb die kleine Zahl derer, die ein Versteck gefunden hatten .. … wie meine Mutter und ich.
Dann waren sie alle weg – meine Familie, meine Freunde, die blinden jüdischen Bürstenzieher von Otto Weidt, die jüdischen Soldaten aus dem ersten Weltkrieg, die ihre Orden noch am Revers ihres Mantels trugen …
Des Nachts sah ich sie wieder vor mir, hörte nicht auf, an sie zu denken: Wo waren sie jetzt? Was tat man ihnen an?
Ich begann mich schuldig zu fühlen. Mit welchem Recht, o fragte ich mich, verstecke ich mich, drücke ich mich vor dem Schicksal, das auch das Meine hätte sein müssen?
„So vergessen Sie doch“ …“Sie müssen doch auch vergeben können“ …“Es ist doch schon so lange her“, meinten Menschen im Nachkriegsdeutschland zu mir …
Da wusste ich plötzlich, was meine Pflicht war … ich musste es niederschreiben. Die Wahrheit, die lückenlose Wahrheit …präzise und emotionslos, so wie ich es mit eigenen Augen gesehen hatte…
Ich war besessen von der Idee, dss Vergleichbares nie wieder geschehen dürfe. Dass Menschen aderen Menschen das Recht auf Leben streitig machen könnten – ganz gleich welcher Hautfarbe, welcher Religion, welcher politischen Einstellung, nicht hier und nicht anderswo … ich wollte daran mittun … mit meinem genzen Eifer, meiner ganzen Kraft.“
Inge Deutschkron schrieb neben ihrer journalistischen Tätigkeit mehrere Bücher, nahm an vielen Veranstaltungen teil, sie initiierte die Gedenkveranstaltungen an Gleis 17 am Bahnhof Grunewald und das Museum „Stille Helden“ in der Stauffenbergsraße – sie wollte an Menschen erinnern, die damals den Mut hatten, ihren jüdischen Mitbürgern zu helfen.
Sie las immer wieder in Schulen, sprach engagiert mit jungen Menschen und erreichte mit dem Theaterstück „Ab heute heißt du Sara“ mit dem Grips Theater viele Jugendliche und auch Erwachsene weit über Berlin hinaus.
2018 wurde sie zur Ehrenbürgerin von Berlin ernannt, dort las sie aus ihren Erinnerungen.
Nach ihrer eindrucksvollen Rede im Bundestag 2013 anlässlich des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus schrieb Bundespräsident Walter Steinmeier:
...“Sie hat sich um unser Land, um ihr Land, verdient gemacht. Wir werden sie niemals vergessen“.
Wir trauern um Inge Deutschkron.
Sie wird am 6. April auf dem Südwestfriedhof Stahnsdorf (bei Berlin) beerdigt.